Während meiner Obdachlosigkeit bin ich abends immer so eine Runde von ein bis anderthalb Stunden, manchmal auch gute zwei Stunden, spazieren gegangen. Da habe ich dann geheult, Gott Vorwürfe gemacht, gebettelt und gedroht, Deals angeboten, damit er endlich meine Obdachlosigkeit beendet. Nun, es dauerte insgesamt 18 Monate, bis das Ende der Obdachlosigkeit kam. Aber Gott war stets und immer hilfreich bei mir • Gott ist helfend da. Natürlich auch während Sie warten. Das Beispiel Joseph

Wir haben in der Zeit herrliche Gespräche geführt buchstäblich über Gott und die Welt und mit Gott.

Es verging kein Abend, an dem ich nicht gejammert hätte. Manchmal mehr, manchmal weniger, manchmal richtig schlimm, weil ich einfach keine Kraft mehr für die Hoffnungslosigkeit in der Obdachlosigkeit hatte.

Wieso hilfst du mir nicht, mein Gott? Ich bin dein Sohn. Wieso muß ich so leiden?
Du hast doch alles, was du brauchst. Sogar deinen geliebten Kaffee.
Ja schon, aber es ist nicht mein Kaffee und noch nicht mal die Tasse, aus dem ich ihn trinke, gehört mir.
Und du hast ein Dach über dem Kopf.
Ja, aber es ist nicht mein Dach, nicht mein Heim.

Und du hast Internet-Zugang für KTNJ.
Ja schon, aber es ist nicht mein Internet-Zugang.

Und so ging es eine Zeitlang hin und her und dann fiel mir das Hammerargument ein:
Aber ich habe keinen Käsekuchen. Käsekuchen habe ich keinen.

Gott sagte nichts dazu. Ich horchte noch eine Weile in die Dunkelheit, aber es kam nichts von ihm.
Siehste, sagte ich, ich habe nicht alles, was ich brauche.

Und ich ging weiter. Prima. Gott beim Argumentieren geschlagen. Recht behalten.

Ganz schön peinlich, obdachlos zu sein

Ich wartete immer unten im Keller, wo ich untergekommen war, bis ich die Nachbarn über mir nicht mehr hörte. Denn – obwohl ich dem älteren Ehepaar so dankbar war, daß sie mich aufgenommen hatten, damit ich nicht auf der Straße leben mußte – war es mir total peinlich. Ich war erzogen worden, daß man für seinen Lebensunterhalt arbeitet und selber sorgt. Und so war auch mein ganzes Leben gewesen. Aber als ich dann meinen geliebten Sohnemann mit zerschossenem Schädel auf dem Fußboden seines Zimmers fand, ging nichts mehr. Ich konnte nicht mehr arbeiten. Ich verlor meinen Job, meine Zukunft, meine Hoffnung, mein Geld, mein Heim… und so lebte ich im Basement bei den Nachbarn im Keller ohne Fenster (nur mit zwei Lichtschächten) und ohne Heizung und ohne richtiges Bett.

Als ich kein Getrappel mehr über mir hörte, ging ich hoch in die Küche, um mir einen Kaffee aufzusetzen.

Ah, da bist du ja. Guten Morgen. Kommst du mal rüber?
Oh je, hoffentlich nichts Schlechtes. Ich ging aus der offenen Küche rüber ins Wohnzimmer und da saßen die Zwei und strahlten mich an. Vor ihnen auf dem Tisch… ein Käsekuchen.

Bei all den Schmerzen Hiob’schen Ausmaßes in deinem Leben, sagte die Frau, und wir wissen ja, wie gerne du Käsekuchen magst, haben wir dir einen gekauft. Guten Appetit!

Kein Wort über den Käsekuchen

Am Abend meines üblichen Spaziergangs sagte ich kein Wort zu Gott wegen dem Käsekuchen. Ich dachte, er würde vielleicht was sagen. Aber Gott sagte auch nichts. Er ging neben mir durch die Dunkelheit. Und so schwiegen wir uns an.

Nach einiger Zeit sagte ich: Jetzt muß ich mir was anderes einfallen lassen.
Wie meinst du?
Gestern konnte ich mit dem Käsekuchen, den ich nicht habe, zeigen, wie schrecklich es mir geht. Jetzt hast du mir einen geschenkt. Nun muß ich mir was Neues einfallen lassen, um jammern zu können, daß ich nicht alles habe.

Willst du denn jammern?
Ja, manchmal schon so ein bißchen. Weißt du, es ist ja auch schrecklich.
Ich weiß, aber ich bin doch bei dir. Und ich helfe dir, und ich sorge für dich.

Ja, sagte ich, und du tröstest mich immer.
Ja, sagte Gott, trösten tu ich dich natürlich auch.

Und es wird alles wieder gut, oder?
Besser als gut, mein Nanemann.
Ich nehme dich beim Gott, mein Papamann.
Das kannst du auch.